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Wenn man das Vorbild in seinem Leben verliert – die Geschichte eines Vaters, der zu früh von COVID-19 aus dem Leben gerissen wurde

17 May 2022
News release
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„Mein Vater war mein Unterstützer, mein Freund und mein Vorbild. Ich erinnere mich noch, als ich an der Universität war, ging es mir eine Zeit lang schlecht, und mein Vater war – wieder einmal – da, um mich zu trösten und mir Zuversicht zu geben. Das war symptomatisch für unsere Vater-Sohn- Beziehung.“ 

Lobby Akinnola ist sehr stolz auf seinen Vater Femi, einen Einwanderer aus Nigeria, der als Ingenieur arbeitete und stets auf das Wohl seiner Familie bedacht war. 

„Er war sehr intelligent, und man hatte den Eindruck, dass er ständig dabei war, irgendjemandem zu helfen. Er war auch witzig und brachte einen zum Lachen. Wenn er einmal nicht gerade jemandem half, verbrachte er gern Zeit in seinem Schrebergarten. Er probierte sich auch als Fotograf und hörte gern Musik, und er war zuhause ständig am Singen.“

Lobby lebt in London, während seine Eltern und seine jüngere Schwester in einer zwei Stunden entfernten Kleinstadt lebten, aber das hielt sie nicht davon ab, in regelmäßigem Kontakt zu stehen und einander zu besuchen. 

Als COVID-19 in Europa ausbrach, rückte die Familie noch näher zusammen, wie sich Lobby erinnert: „Es war eine eigenartige Zeit, weil sowohl ich als auch meine Schwester und mein älterer Bruder kurz zuvor eine Trennung erlebt hatten. Ich hatte außerdem noch eine neue Stelle angetreten und war in der Forschung tätig, und das war spannend, und wir sprachen viel darüber.“

Als die ganze Tragweite der Pandemie in der Europäischen Region deutlich wurde, hatte Lobbys Vater allerlei Ideen, wie man für Sicherheit sorgen könne: „Ich kann mich erinnern, dass er sagte, dass man vielleicht zusammenklappbare Sitze in den Bussen installieren könnte, damit die Leute leichter Abstand halten können. Das war der Ingenieur in ihm – er hat einfach immer nach Lösungen für Probleme gesucht.“

Die Familie hatte Angst davor, sich mit dem neuen Virus anzustecken, aber die Sorge galt nicht Femi, sondern vor allem Lobby, da er in der Großstadt lebte und wegen zweier Blutkrankheiten als klinisch anfällig galt. „Es gab eine echte Gefahr, dass ich bei einer Erkrankung sterben würde“, sagt Lobby.

Doch dann erkrankten seine Mutter und Schwester und auch Femi gleichzeitig schwer an COVID-19 und mussten sich jeder für sich in verschiedenen Räumen der Wohnung isolieren. 

„Das war schwer für mich, da ich in London war und nur per SMS mit ihnen Kontakt aufnehmen konnte, weil sie nicht einmal sprechen konnten. Es war eine schwierige Zeit. Wir waren eigentlich mehr besorgt um meine Mutter, weil sie früher schon Gesundheitsprobleme gehabt hatte, während mein Vater immer gesund gewesen war. Doch dann ging es meiner Mutter und Schwester allmählich besser, also dachten wir, alles wird wieder gut.“
 
Aber drei oder vier Tage später ging es Femi immer noch schlecht, und dann stellte er fest, dass er Blut im Speichel hatte. Wie immer sorgte sich Femi um andere, auch dann noch, als er krank im Bett lag. So erhielt Lobby von seinem Vater eine SMS mit einem Link zu einem wissenschaftlichen Artikel, in dem die Ansicht vertreten wurde, dass COVID-19 auf Oberflächen überleben und sich so ausbreiten kann. Er riet seinem Sohn dringend, vorsichtig zu sein.

Dann erhielt Lobby an einem Sonntagmorgen einen Anruf von seiner Mutter. „Ich erwartete etwas wie: ,Ich bin wieder auf, dein Vater ist auf, und alles ist wieder in Ordnung, uns geht es gut‘, aber dann hörte ich dieses Geräusch im Hintergrund und dachte, meine Schwester lacht.“ 
 
„Lobby, Femi ist gestorben“, sagte seine Mutter.
 
„Meine Schwester lachte nicht, sie weinte. Und ich brach zusammen.“
 
Lobby fuhr in aller Eile zur Wohnung seiner Eltern, da er befürchtete, dass die Leiche seines Vaters abtransportiert würde und er ihn nie wieder sehen könnte und keine Gelegenheit mehr hätte, sich von ihm zu verabschieden. 
 
„Da lag er am Boden“, erzählt Lobby. „Es kam wirklich ganz plötzlich. Ich kann das Gefühl nicht beschreiben. Gerade noch war mein Leben in Ordnung, und buchstäblich von einer Sekunde zur anderen war es, als sei es nun vorbei.“
 
Bei dem Versuch, die Welle des Kummers zu bewältigen, machte sich die Familie Vorwürfe, dass sie nicht genug für Femi getan hätte. „Weil wir nicht ins Krankenhaus gegangen waren, hatten wir das Gefühl, nicht genug getan zu haben, damit er die nötige Versorgung erhält. Was hätten wir noch tun können? Wie hätten wir sein Leben retten können?“

Aufgrund der anhaltenden Beschränkungen durfte nur der engste Familienkreis an der Beerdigung teilnehmen. „Es war sehr isolierend. Die Leute haben Blumen geschickt, aber das ist nicht dasselbe.“

Femis Tod hatte tief greifende Auswirkungen auf Lobby und seine Familie und ihren Umgang mit anderen: „In meiner Familie verstehen wir wirklich den Sinn von Abstandhalten. Was sich für mich verändert hat, ist die Einstellung von vor der Pandemie: Wenn es dich nicht umbringt, dann leb‘ damit. Die Leute gingen mit einer Erkältung oder Grippe an die Arbeit, und wenn man sich ansteckte, dann war das eben so, aber dabei kann es doch gravierende Folgen für andere Menschen haben. Das ergibt doch keinen Sinn! Für mich ist es wirklich seltsam, als Kranker in einem geschlossenen Raum mit Leuten zu arbeiten, die nicht krank sind. Wir müssen verstehen, dass COVID-19 eine reale Bedrohung ist, die Menschen tötet.“

„Wir müssen uns an das halten, was uns die Gesundheitsbehörden, unabhängige Gremien, Wissenschaftler, Ärzte und Pflegekräfte sagen, nämlich, dass die Pandemie noch nicht vorüber ist. Es ist immer noch wichtig, sich an bestimmte Dinge zu halten, wie Maskentragen in geschlossenen Räumen. Natürlich ist das unpraktisch, aber es könnte dein Leben retten, oder das Leben eines deiner Familienmitglieder. Es ist besser, nicht auf schmerzhafte Weise zu lernen. Selbst wenn man sich selbst keinen Schaden zufügt, muss man doch an die Folgen für andere denken.“